Praxisbezogene Schießausbildung
versus Schießstandverhalten.
Oder etwa umgekehrt?


Dokumentationen in diversen Fernsehsendern boomen. Berichte über Einsatzorganisationen wie Polizei, Zoll, Feuerwehr, das Rettungswesen oder das Heer bringen dem Bürger viele Informationen und das ist wichtig und richtig so. Natürlich kommen dabei auch Informationen über die Schießausbildung der waffentragenden Kräfte nicht zu kurz.


Der Insider sieht dabei aber meistens das altbekannte Schema: Mehrere Auszubildende stehen nebeneinander auf den breitflächigen behördlichen Schießständen und geben die angeordneten Schüsse unter Anleitung der Ausbilder auf die verschiedenartigsten Zielmedien ab. (Siehe dazu auch „Zielmedien“ auf unserer Homepage). So weit so gut.


Seit einiger Zeit kann dabei aber oft ein seltsames Phänomen beobachtet werden. Unmittelbar nach Abgabe des Schusses (der Schüsse) wird die Waffe ruckartig mit angewinkelten Armen gegen die Brust gezogen und der Kopf mit bösem Blick ebenfalls ruckartig nach links und rechts gerissen. Das Ganze mit unveränderter, nach vorne gerichteter Körperhaltung.


Ganz klar, der Sinn der Sache ist tatsächlich, nach einer Schusswaffenkonfrontation eine Überblick über die Gesamtsituation zu erlangen.


Richtigerweise wurde diese Überlegung mehr oder weniger in die Schießausbildung aufgenommen, aber offenbar von weisungsbefugten Theoretikern falsch umgesetzt, was sich jetzt wie ein roter Faden durch das ganze System zieht.
Abgesehen davon, dass nach erfolgter Schussabgabe nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, dass der Gegner sofort kampfunfähig ist und daher die Waffe weiterhin im Anschlag für eine weitere unverzüglich erforderliche Schussabgabe zu halten ist, kann auch durch die folgende kopfschüttelnde Bewegung bei unveränderter, nach vorne gerichteter Position sicherlich kein ausreichender sofortiger Überblick gewonnen werden.


Leider wird während der Ausbildung der Wichtigkeit des Sehens mit beiden Augen auch während des Schießens noch nicht die erforderliche Bedeutung beigemessen. Durch beidäugiges Sehen könnte der Akteur ein deutlich erweitertes Sehfeld erlangen und durch instinktives Erfassen eines sicheren Bereiches mittels eingeleiteter Standortveränderung ein überlegenes Verhalten setzen.


Eine derartige Vorgangsweise muss zwingender Weise ausreichend trainiert werden, was aber auf den zuvor beschriebenen behördlichen Schießständen aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist. Abhilfe würde eine entsprechend bauliche Veränderung der Schießstände für Einzelausbildung schaffen oder noch besser, trotz hohem Zeitaufwand Einzelausbildung mit Lerneffekt für die anderen Auszubildenden.


Solange unzureichende Schießausbildung anhand der vorhandenen baulichen Struktur und teilweise mit theoriebehafteten Ausbildern betrieben wird, bleibt eine praxisorientierte Schießausbildung nur Makulatur, zum Schaden aller mit der steigender Gewalt konfrontierten Kollegen.


Nun noch ein in dieses Thema passender Punkt einer theoriebehafteten Schießausbildung. Die vielerorts propagierte „Position SUL“ , die mit beiden Händen fest quer mit abwärts gerichteten Lauf gegen die eigene Brust gepresste, Schusswaffe. Begründet wird dies mit Sicherheitsgründen, um die Waffe beim Fortbewegen im Nahbereich anderer Personen zugriffssicher zu halten. Das heißt nichts anderes, als dass zu diesem Zeitpunkt keine unmittelbare Schussabgabe erforderlich sein wird. Aber dann, verdammt noch mal, gehört die Waffe ins Holster, allenfalls mit der Hand daran. Nichts ist wichtiger, als in konfrontationsgeladenen Situationen möglichst beide Hände frei zu haben, um unter Umständen körperliche Angriffe abzuwehren.
Allesamt gut gemeinte, aber keinesfalls praxisgerechte Maßnahmen, die die heutzutage erforderliche Schießausbildung konterkarieren.Wir würden uns wünschen, dass seitens der Schießausbilder mehr eigene Praxiserfahrungen Raum greifen und weniger auf die Ergüsse selbsternannter „Experten“ geachtet wird. Das bedingt natürlich, dass die zum Einsatz kommenden Ausbilder schon eine gewisse Zeit Diensterfahrung aufweisen müssen, um zu vermeiden, dass mangels eigener Erkenntnisse alle möglichen Theorien unreflektiert weitergegeben werden.


Karl-Heinz und Helmut Rösler
September 2023